«Permakultur ist der neue Porsche im Garten»

26. Aug 2021

Judith Supper im Interview
mit Karin Frick

© Bild 1: Valentina Verdesca
© Bild 5: Karin Frick

Magazin

Welche Gärten bestellen wir in Zukunft? Werden sie von Hightech dominiert oder bilden sie mit einer veränderten Naturwahrnehmung genau den Gegenpol? Mit der Zukunftsforscherin Karin Frick sprechen wir über die Gartenwelt von morgen. Für sie ist klar: Ein Paradigmenwechsel steht bevor.

Dieses Interview erschien im «Pflanzenfreund», dem unabhängige Gartenmagazin
mit Ecken und Kanten.

Die Corona-Krise hat uns einen neuen Begriff gelehrt: Systemrelevanz. Ist die Gartenbranche systemrelevant?
Karin Frick: Ja. Die Idee der Selbstversorgung wird immer wichtiger, auch weil es tendenziell ums Überleben geht. Wenn das System zusammenbricht, braucht es eher Menschen, die wissen, wie etwas anzupflanzen ist als solche, die künstliche Intelligenzen zusammenbauen können.

Ein durchschnittlicher Schweizer Garten ist von einer Hecke umsäumt, im Inneren befindet sich je nach Alter der Besitzer ein Trampolin, ein Klettergerüst oder ein Teich. Es blühen Rosen und Lavendel, im Gemüsegarten wachsen Tomaten, Salate und Zucchetti. Wie sieht dieser Garten im Jahr 2050 aus?
Anders als in der Mode sind im Garten Entwicklungen langfristig und eher langsamen Veränderungsprozessen unterworfen. Ich vermute, dass sich Gärten immer stärker in Richtung Permakultur entwickeln. Sie wird zur neuen Realität, Monotonie wird es keine mehr geben. Man wird den Garten als Produktionsfläche in der Logik der Permakultur nutzen. Dass sich dies als Leitidee durchsetzt, hat auch damit zu tun, dass gewisse Dinge – ein Beispiel sind Pestizide – im Privatgarten verboten sein werden. Es gibt aber einen weiteren Antrieb: Im beschriebenen Standardgarten entsteht nichts.
Sein Unterhalt ist zwar billig, aber die Idee hat keine Kraft. In der Permakultur entsteht etwas Neues, etwas Anderes. Der Trend ist heute schon erkennbar, beispielsweise bei der Kreiselbegrünung. Nicht zuletzt steigert ein wilder schöner Garten auch den Wert einer Immobilie.

Sind wir künftig also alle Selbstversorger?
Was im Garten passiert, ist oft auch Liebhaberei. Im Unterschied zur Landwirtschaft hat der Gärtner mehr Freiheiten – was von Vorteil ist. Sofern ich es nicht professionell betreibe, zahlt es sich kostenseitig nicht aus, im Garten eigene Salate zu ziehen. Aber es macht glücklich. Es steckt also eine andere Logik dahinter als in der Landwirtschaft, mit der wir die Versorgung sicherstellen und wo pflanzenbasierte Proteine immer wichtiger werden. Private Gärten gleichen damit eher einem Spielfeld, auf dem man ohne den ökonomischen Druck mehr Freiheiten hat. Hier kann man experimentieren, kreativ werden. Wichtig bei diesem Thema ist auch die Kulinarik. Was ist cool, was ist hip? Dazu zählen als Treiber auch die vegetarische oder die vegane Ernährung. Wenn ich weiss, was ich aus Wurzeln kochen kann oder wenn das hippe Restaurant mir zeigt, wie ich die Randen auf neue Art zubereite, wird das zur Inspiration für den Gartenliebhaber.

Noch nie haben so viele Menschen in Städten gelebt: 2015 waren es insgesamt 45 Prozent der Weltbevölkerung. Doch Corona-Krise und Homeoffice treiben die Menschen wieder aufs Land. Ist das Ende des «Urban Gardens» nahe?
Es ist schwer abzuschätzen, wie stark diese Bewegung ist. Tendenziell ist es eine gegenseitige Befruchtung, die stattfindet, wenn beispielsweise das Café auf dem Land den Groove der Stadt auslebt. Ein grösserer Austausch ist zu erwarten. Der urbane Stil wird auf dem Land fortgeführt, und durch gegenseitiges Lernen entsteht mehr Interaktion. Damit können Shops und Cafés auf dem Land neue Konzepte umsetzen. Es gäbe dann also weniger «traditionelle» Land-Angebote, sondern Neuinterpretationen davon durch die eher urbanen Menschen.

Das Thema Global Warming erfasst heute alle ökonomischen und politischen Diskurse. Welchen nachhaltigen Einfluss hat die Generation «Fridays for Future»? Und inwiefern ist der Begriff «Green Pressure» von Belang?
«Green Pressure» ist auch im Hausgarten ein wichtiges Thema, schon allein durch die sich in Zahl und Menge verringernden Pestizide. Alles, was nicht Biogarten ist, gerät immer stärker unter Druck. Da hat «Fridays for Future» sicherlich auch ein Umdenken erwirkt. Gärtnern ohne Pestizide wird zum Standard. Wichtig ist aber auch die Inspiration: Das Konventionelle spricht die Fantasie nicht an. Wer sich als junger Mensch für den Garten begeistert, braucht den biederen Stil nicht. Gärten junger Menschen leben von den Emotionen, die entstehen, wenn jemand die Liebe zur Natur entdeckt.

Pestizidfrei zu gärtnern wird also der neue Standard?
Biodynamische Anbaumethoden geben einfach mehr Impulse. Wir sind ja auch emotionale Wesen und suchen nach Romantik. Genau das und nicht die rationale Berechnung macht einen Trend aus. Im Privatgarten sind wir stark von emotionalen Ideen gesteuert. Das ist der Gegentrend zu unserer hoch ökonomisierten Welt.

Moderne Technologien machen auch vor dem Garten nicht Halt. Im Bild der sogenannte FarmBot Genesis, der in der Lage ist, eigenständig Gemüse anzubauen, zu pflegen und kontinuierlich zu überwachen.

Am anderen Ende stehen die Robotertechnik und die Digitalisierung. Schliessen sich Garten und künstliche Intelligenz aus?
Nein. Pflanzen, Gärten, alles wird vernetzt. Dann können wir mit den Pflanzen reden oder mindesten den Austausch sichtbar machen. Aus der Präzisionslandwirtschaft kennen wir das bereits. Strom aus lebenden Pflanzen ist ebenfalls ein Thema, hierzu wird viel geforscht, auch an der ETH. Beim Präzisionsgärtnern wird man künftig relativ genau wissen, was der Zustand der Pflanze ist, ob sie gewässert werden muss oder Nahrung braucht. Das geht aber weit über rein technische Belange hin - aus, denn das Interesse am «geheimen» Leben der Pflanzen kommt dazu. Wie entwickeln sich Pflanzen, wie wachsen sie? Jetzt haben wir den technischen Zugang, um Fragen wie diese zu beantworten, aber die Faszination für die Pflanze als lebendes System ist noch grösser. Die Vernetzung mit der Pflanzenwelt ist also mehr als nur funktional, sondern basiert auf dem Wissen, dass Pflanzen Lebewesen sind. Jetzt kann ich interagieren – und diese Interaktion messen.
Aber ich denke, dass sich im Privatgarten zunächst eine Art von Kreislaufwirtschaft im Kontext der Selbstversorgung etablieren wird. Abfall vermeiden ist hierbei ein grosses Thema. Da sind wir beim Kompost. Kein Haushalt wird organische Abfälle mehr wegwerfen, sondern auf Systeme setzen, mit denen sich Kompost oder auch Biogas selbst produzieren lassen. In Haus und Garten wird sich eine Mini-Kreislaufwirtschaft etablieren, beispielsweise durch Wurmkompost.

«Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage», lautet das bekannte Zitat von Dieter Kienast, «denn er erfordert das, was in unserer Gesellschaft am kostbarsten ist; Zeit, Zuwendung und Raum.» Werden wir diese Aussage auch in 50 Jahren noch treffen?
Bei der Beziehung zwischen Mensch und Natur steht ein Paradigmenwechsel an. Sie wird enger. Der Garten ist dann nicht mehr nur ein Luxus, sondern ein Therapieort für Körper und Geist. Dass Gärtnern Stress reduziert, ist bekannt. Stress wieder ist Auslöser für viele Krankheiten. Daher kommt dem Garten als Ort der Heilung eine entscheidende Position zu. Raum hingegen ist knapp.
Nicht jeder besitzt einen grossen Garten, doch es wird Verschiebungen geben, auch im Kontext der Generationenfolge. Über Zeit werden wir genug verfügen und mit ihr auch besseres anzufangen wissen, als sie nur am Computer zu verbringen. Arbeitspensen werden kleiner, das bedingungslose Grundeinkommen steht im Raum. Pendlerzeiten fallen weg, da mehr von zu Hause aus gearbeitet wird. Maschinen nehmen Arbeiten ab. In Zukunft wird niemand den ganzen Tag nur mit der Arbeit beschäftigt sein, zumindest in Ländern wie der Schweiz.
All dies wird zu einer massiven Verschiebung in der Arbeitswelt führen. Dieser Paradigmenwechsel hat Vorteile. Einer davon: Es wird sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Beim Essen ist dieser Prozess bereits im Gange. Als Standard für alle Bevölkerungsgruppen wird sich die vegetarische Ernährung durchsetzen. Schlechtem Essen wird man ähnlich verständnislos begegnen wie dem Rauchen. All das passiert natürlich nicht über Nacht, aber wenn man sieht, wie sich die Kultur des Essens bereits verändert hat – und weiterhin verändert – können wir davon ausgehen, dass sich ähnliche Mechanismen auch im Freizeitverhalten niederschlagen. Daher bin ich davon überzeugt: Ein toller Permakulturgarten ist der neue Porsche.

Infos unter www.pflanzenfreund.ch


Karin Frick ist Mitglied der Geschäftsleitung des renommierten Gottlieb Duttweiler
Instituts (GDI). Seit etwa 15 Jahren analysiert die Ökonomin die neuesten Trends und Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum. Die gebürtige Liechtensteinerin und Mutter von zwei Söhnen studierte Volkswirtschaftslehre an der Hochschule St. Gallen.