Mythos: Gärtnern ist ein Buch mit sieben Siegeln
Beim Gärtnern ist es wie beim Kochen. Manche schwören auf das Hausrezept der Grossmutter und halten es geheimnisvoll unter Verschluss. Andere rühmen sich, selbst Hüter des heiligen Grals – pardon, grünen Daumens – zu sein und teilen ihre Weisheiten im lehrmeisterlichen Ton. Dass sich bei diesem Verhalten so manche Ungereimtheiten ergeben, ist kaum zu vermeiden. Im Folgenden haben wir einige dieser Mythen entschlüsselt: von A wie Abschreiben bis pH wie pH-Wert.
Gartenmythen von A bis PH
Die folgenden Texte zum Thema Boden sind ein Auszug aus dem Pflanzenfreund-Bookazine «Gartenmythen. Zwischen Trugbildern, Halbwahrheiten und Träumen»:
Calciumcarbonat
Sollte Dir jemand empfehlen, den Boden mit Calciumcarbonat, also Kalk, zu verbessern, dann hebe höchstens eine Augenbraue und belasse es dabei. Der Spruch «Kalk macht reiche Väter, aber arme Söhne» kommt nicht von ungefähr. Ja, das Kalken zeitigt positive Effekte: Nährstoffe werden freigesetzt, die Bodenstruktur verbessert sich. Dummerweise ist diese Wirkung eine kurzfristige. Schlimmer noch. Der Preis, den man dafür zahlt, ist unverschämt hoch: ein ausgelaugter Boden mit hohem pH-Wert, auf dem Pflanzen früher oder später nur noch kümmern. Im besten Falle. Übrigens, am meisten Kalk gestreut wird auf Rasen, um dadurch unerwünschtes Moos loszuwerden. Dies, obwohl das nachweislich selten bis nie wirkt. Moos gedeiht in erster Linie auf verdichteten, zu schattigen und falsch gepflegten Rasen, und nicht weil der Boden zu sauer wäre. Nur so als Idee: Warum nicht einfach solch einen Moosteppich schön finden?
Heissrotte
Googelt man nach Kompost, wird einem suggeriert, es könne dabei nicht anders als heiss zugehen. «Richtig» kompostiert demgemäss nur, wer kleinschneidet, in einem Vorgang aufschichtet, immer wieder umsetzt (sprich das Oberste nach unten kehrt), das Ganze zudeckt und – weil es eben zugedeckt ist – auch noch händisch und korrekt giesst. Denn nur so stellt sich die Heissrotte ein. Hat man im selten besten Falle alles richtig gemacht, ist das Resultat ein nährstoffreiches Düngesubstrat ohne unerwünschte Samen oder Krankheitskeime. Die Sache ist nur die: Ebenfalls Gutes kriegt man hin, wenn man der Natur die schweisstreibende Arbeit überlässt, die Beine hochlegt und sich aufs Resultat freut. Kaltrotte nennt man diesen Vorgang. Zwar werden dabei nicht alle Samen und eventuelle Krankheitserreger abgetötet (was kein Problem ist, wenn man dem Komposthaufen nichts davon gibt), dafür ist das Endresultat reicher. An erwünschten Mikroorganismen und Pilzen nämlich.
Juglon
Unter Walnussbäumen bleibt man zwar von Mücken verschont, aber dafür wächst dort leider nichts. Ausserdem brauchen die Blätter ewig zum Verrotten und sind ein schlechter Mulch, weil sie hemmende Stoffe abgeben. An all dem soll das Juglon schuld sein. Nun gibt es diesen wachstumshemmenden Stoff tatsächlich. Gebildet wird er durch Oxidation aus Hydrojuglon, das in Walnussbäumen produziert wird. Aber ... er hält definitiv keine Mücken fern, und nur wenige Pflanzen davon ab, in unmittelbarer Nähe zu wachsen. Wenn überhaupt. Dass es nicht alle gerne tun, hat einen weit profaneren Grund: Walnussbäume haben ein sehr dichtes, weitverzweigtes Wurzelwerk. Unter ihrer Halbschatten spendenden Krone ist es dementsprechend trocken und eher nährstoffarm. Dass da keine Tomaten gedeihen, braucht einen nicht zu wundern. Was nun das Walnusslaub betrifft, so verrottet es ebenso gut wie jedes andere auch. Ausserdem ist das darin enthaltene Juglon nach kurzer Zeit komplett abgebaut – dank fleissiger Mikroorganismen.
Dass Pflanzen mittels ausgeschiedener Stoffe hemmend oder aber förderlich auf andere einwirken, ist an sich kein Mythos. Doch die Wirkung ist oftmals deutlich kleiner als behauptet oder manchmal schlicht erfunden.
Offener Boden
Man könnte meinen, gerade dieser Mythos habe sich auf grund seiner Naturferne inzwischen überlebt, die Realität jedoch sieht anders aus. Es gibt wahrhaftig noch heute Expert:innen (als solche jedenfalls treten sie auf), die es ausdrücklich empfehlen: Man halte den Boden zwischen Rosen stets offen und hacke ihn gelegentlich durch. Denn Rosen wachsen besser ohne Nachbarn und Mulch. Und offensichtlich auch viel lieber ohne ein gesundes Bodenleben.
P wie pH-Wert
Müsste man einem Gartenmythos den ersten Platz auf dem Treppchen zuschreiben, dann wäre es diesem letzten hier. Keine Warnung wird öfter und eindringlicher ausgesprochen als «Nicht! Damit machst du den Boden sauer!». Verblüffend, was alles den pH-Wert in den Keller schicken soll: Rindenmulch, Holzhäcksel, Sägespäne (die nützen dafür so toll gegen Schnecken, wie Eierschalen), Kaffeesatz, Koniferennadeln, Herbstlaub (zum Beispiel das der Walnuss, genau, wegen des Juglons), ja gar vor Rasenschnitt wird nicht Halt gemacht.
Um es kurz zu machen: Das alles ist Käse. Man kann den Boden nicht künstlich ansäuern. Jedenfalls nicht nachhaltig. Und ganz bestimmt nicht naturnah. Wenn das so problemlos ginge, warum muss dann beim Pflanzen eines popligen Rhododendrons oder einer einzelnen Heidelbeere der Boden ausgetauscht werden? Und am besten noch mit Torf?
Ein Kinderspiel dagegen das Gegenteil: Um den pH-Wert anzuheben, braucht es nur eine gewisse Menge Kalk (Calciumcarbonat) und schwupps! wird der Boden alkalischer. Davon aber lässt man am besten die Finger: Es gibt weniges, was sich im Garten nicht mehr rückgängig machen lässt; das Kalken ist eines davon. Nur so als Idee: Man kann den vorhandenen pH-Wert des Bodens begrüssen und ihn mit Pflanzen bestücken, die ihn genau so mögen, wie er ist. Das wäre nicht nur der Natur abgeschaut, sondern auch clever ... wobei ... ist das nicht letztlich dasselbe?
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Ein grosses Dankeschön an unseren Content Partner Pflanzenfreund und an Nicole Häfliger!